Die dreiste Glosse< Zurück 15.07.2011

8th Wonderland: haben Nationalstaaten ausgedient?

Von Max Werschitz

Reformunfähige PolitikerInnen und ein frustriertes Wahlvolk – gerade Österreich hinkt den Versprechen des neuen, digitalen Zeitalters hinterher. Doch Auswandern ist halt anstrengend, und woanders ist es ohnehin nicht viel besser – wie wäre es also mit einem virtuellen Staat? '8th Wonderland' macht sich auf die Suche nach Alternativen.

Lange ist es nun schon her dass die Scorpions vom "Wind of Change" trällerten, jene Powerballade die ein Jahr nach ihrem Erscheinen so etwas wie der Soundtrack zum Ende der Sowjetunion wurde, ein melancholisch-sanfter Song der den Zerfall der UdSSR wie ein zartes Frühlingslüftchen begleitete.

30 Jahre später ist er wieder in Luft, der wind of change. Doch während 1991 ein kommunistisches Patchworkreich in einzelne Nationalstaaten zerbröselte, und sich kurz darauf auch Jugoslawien schrittweise selbst filetierte, ist es heute genau dieses Konzept des damals so wünschenswert erscheinenden, kleingeografisch verankerten Zugehörigkeitsgefühls das ins Wanken gerät. Inzwischen scheißen nicht nur große Konzerne je nach profitgesteuertem Eigenbedarf auf Landesgrenzen, auch der kleine Mann und die kleine Frau entdeckt – dem Internet sei Dank – dass man mit den Leuten aus der Nachbarwohnung vielleicht weniger gemeinsam hat als mit Gleichgesinnten im Nachbarland, oder gar auf einem anderen Kontinent. Nun gut, es muss nicht jeder den gleichen Musikgeschmack haben oder das gleiche Fernsehprogramm mögen – aber was wenn sich der Durchschnittsbürger von den inzwischen archaisch anmutenden, lokalen Politikapparaten einfach nicht verstanden, geschweige denn adäquat vertreten fühlt?

L'état, c'est nous

Der tatsächliche Sprecher des 8th WonderlandVorhang auf für 8th Wonderland. Die französischen Regisseure und Drehbuchautoren Nicolas Alberny und Jean Mach nehmen darin das Kinopublikum mit auf eine multilinguale spekulative Reise in eine ganz und gar nicht unrealistische Zukunftsvision. Das "8th Wonderland" ist der erste und anfangs noch geheime virtuelle Staat, bevölkert von tausenden über den gesamten Planeten verstreute Bürger die sich eine eigene Verfassung gegeben haben und regelmäßig per Videochat beraten – um schließlich wöchentlich über diverse Aktionen abzustimmen. Einige davon sind eher ein harmloses Winken mit dem ideologischen Zaunpfahl, wie etwa das nächtliche Montieren von Kondomautomaten im Vatikan, oder das Publizieren einer Darwin-Bibel. Andere wiederum begeben sich in weitaus umstrittenere und gefährlichere Gewässer: So werden Fußballspieler die mit Werbedeals für Markenschuhe Millionen machen entführt und gezwungen selbst in chinesischen Sweatshops unter den entsprechenden Bedingungen zu arbeiten; oder ein Nuklearenergie-Deal zwischen Russland und dem Iran dank einer eingeschleusten Dolmetscherin zu Fall gebracht. Je radikaler die Maßnahmen von 8th Wonderland werden desto mehr rückt es in die Schußlinie der Öffentlichkeit, bis sich plötzlich ein gewisser John McLane (Matthew Géczy) als Gründer des virtuellen Staates ausgibt und in einer mediengeilen Rampensautour versucht Profit aus der neugefundenen Bekanntheit zu schlagen.

Der Film wurde bereits 2008 gedreht und 2009 vor allem bei Festivals gezeigt, wo er auch einige Preise einheimsen konnte. Bei uns war er mit gewaltiger Verspätung erst Anfang Juli dieses Jahres, und (in Graz) leider nur für eine magere Woche im Rechbauer zu sehen. Das Timing hätte dennoch kaum besser sein können, und unterstreicht die prophetischen Qualitäten des Films: schließlich machte gerade in dieser Zeit das Hackerkollektiv Anonymous mit Angriffen u.a. auf die Website der FPÖ auch hierzulande Schlagzeilen. Während die Attacke auf das Playstation-Netzwerk von Sony vor einigen Wochen noch eher dem Prinzip "wir machen es weil wir können" beruhte, war dies ein eindeutig politisch motivierter Eingriff einer internationalen, virtuellen Organisation in die Tätigkeiten einer realen, nationalen Partei. Und das, so wage ich zu behaupten, war erst der Anfang.

8th Wonderland, produziert von M.A.D. Films, ist handwerklich kein wirklich astreines Stück Kino – die SchauspielerInnen wirken teilweise hölzern, Kamera und Schnitt immer wieder suboptimal, und die Handlung wird mit fortschreitender Dauer verwirrend. Das ist dem Charme des Gesamtwerks jedoch nicht abträglich, und am Ende ist es hauptsächlich die Botschaft die zählt: vielleicht werden wir schon in einigen Jahren, wenn der wind of change womöglich zum handfesten Sturm angewachsen ist, sehen ob die beiden Franzosen mit ihrer Vision auf dem richtigen Weg waren. Ich persönlich hätte nichts dagegen.

Mehr Infos zu Konzept und Film gibt es auf www.8wonderland.org – und auf www.8thwonderland.com kann man sogar tatsächlich Bürger des virtuellen Staates werden.

Trailer

Auf einen Blick

  • Jahr: 2008
  • Länge: 94 min
  • Regie: Nicolas Alberny, Jean Mach
  • Drehbuch: Nicolas Alberny, Jean Mach
  • Darsteller: Matthew Géczy, Robert William Bradford, Alain Azerot, Eloïssa Florez, Ahlima Mhamdi u.v.m.
  • Webseite

Fazit

Meine Wertung:

 

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